Das verzauberte Haus

Wer mit der Bahn nach Klagenfurt fährt und den dortigen Bahnhof verlässt, sei es zum Autobusbahnhof, zum Taxistandplatz oder einfach zu Fuß Richtung Innenstadt, findet sich plötzlich an der gegenüberliegenden Ecke einem stattlichen Haus mit drei riesigen Portraits am unteren Teil der Fassade gegenüber. Das ist das Musil-Haus, übrigens auch das Geburtshaus des gleichnamigen Autors, nunmehr Literaturarchiv, Forschungszentrum, Museum und schlechtweg der Treffpunkt für Literatur in Kärnten. Der Museumsbetrieb im Erdgeschoß widmet sich in einer Dauerausstellung den drei Kärntner Autoren Robert Musil, Christine Lavant und Ingeborg Bachmann. Dieses Haus war diesmal meine erste Station beim neuerlichen Besuch in Klagenfurt.

Als ich an diesem späteren Vormittag das Museum betrat (Eintritt gratis), war ich der einzige Besucher. Sofort stürzte eine junge Dame auf mich zu und - nach meiner Zustimmung - gab mir sofort einen Überblick über Aufbau und Inhalt der Präsentation. Der größte Teil befasst sich mit Leben und Werk von Robert Musil, der mit seinem (unvollendeten) Hauptwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ den moralischen und gesellschaftlichen Verfall der k.u.k-Monarchie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts treffsicher thematisiert hat.  Das Museum präsentiert viele, viele Fotos von Musil, seiner Familie und seinem Umfeld, persönliche Dokumente und Presseartikel – alles penibel geordnet und beschrieben.
Für die Bergmannstochter Christine Lavant (eigentlich Christine Thonauer), bekannt durch ihre Lyrik und ihre autobiographischen Erzählungen, wurde ihr Wohnzimmer mit den Originalmöbeln nachgestellt.

Ingeborg Bachmann ist im Anschluss an die Literaturlounge durch Fotos und ganz persönliche Dokumente (u.a. Maturazeugnis) präsent.
Es gibt hier genügend Raum zum Lesen, Büchertauschen und Entspannen (Bücher jeglichen Genres können auch mitgenommen werden), auf Wunsch wird dazu Kaffee serviert. Darüber hinaus organisiert man immer wieder Sonderausstellungen, derzeit etwa die Präsentation von Bildern des Wiener Künstlers Johannes Deutsch, dessen Werke etwa genauso verstörend und betörend wirken, wie Musils Hauptfiguren - dies im Kontext zu Musils Frühwerk „Das verzauberte Haus“ und Bilder von Caroline Hudelist („Caroline“), die zusammen mit dem Schriftsteller Günter Schmidauer zu einer Reise „zwischen Buchdeckeln und auf der Leinwand“ einlädt. Dazu ein dichtes Programm von Lesungen, oft auch in Verbindung mit Musik („liTONale“).
Ein wirklich angenehmer Ort zur Entspannung und zum Schmökern – nicht nur, wenn es mal regnet!

Dann auf zur zweiten Station!
Diesmal ohne Auto! Auch kein Problem, entweder zu Fuß oder mit dem Bus. Klagenfurt verfügt über ein dichtes Busnetz zu wahrlich moderaten Preisen (24-Stunden-Familienkarte/2 Erwachsene und bis zu 5 Kinder 8,-, Einzelkarte 2,-). Diese zweite Station – der aufmerksame, regelmäßige Leser der „Genusszeit“ ahnt es wohl schon – die Stadtgalerie!  Die neue Ausstellung (bis 8. September 2024) ist dem Wiener Eduard Angeli gewidmet. Gezeigt werden etwa 40 großformatige Werke, darunter zwei Ölbilder von Venedig mit einer Länge von 5,40 Metern (!). Alle Bilder sind menschenleer und fesseln durch ihre unglaubliche Ruhe. Auch hier hatte ich das Glück, zu Mittag der einzige Besucher zu sein und konnte daher völlig unbehelligt, auf einer der bereitgestellten Bänke sitzend, minutenlang in das eine oder andere Bild versinken. Und das „macht“ etwas mit einem! Die Ruhe der Bilder überträgt sich sukzessive auf den Betrachter. Nicht umsonst wird Angeli oft als „Magier der Stille“ bezeichnet.
Nach diesem fast beschaulichen Vormittag machte ich mich völlig entspannt wieder auf den Heimweg. Das war ein wirklicher Genuss!

 

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