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Was bringt nachhaltige Ernährung? Nachhaltigkeit ist - bei der Ernährung im wahrsten Sinn des Wortes - in aller Munde, Irrtümer bei vielen Ernährungsfragen inklusive. Der VEÖ klärt auf.
Der VEÖ, der Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs klärt über die wichtigsten Irrtümer auf. Wenn es um das Thema Ernährung geht, stehen fast immer die gesundheitlichen Aspekte im Vordergrund. „Die Ernährungswissenschaften beschäftigen sich aber auch mit der Frage, welche Auswirkungen unser Ernährungssystem langfristig auf Mensch, Tier und Umwelt hat. Für manche Sünde, die heute begangen wird, büßen womöglich nachfolgende Generationen“, ist Mag. Ursula Umfahrer-Pirker, 1. Vorsitzende des Verbandes der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ), überzeugt.
Umfassender Zugang
Was nachhaltige Ernährung auszeichnet, ist die weit reichende Herangehensweise an das Thema. Erstens umfasst sie das gesamte Ernährungssystem von Produktion über Verarbeitung, Verpackung, Transport und Handel bis zu Konsum und Entsorgung – also vom Feld bis auf den Teller. Zweitens ist sie mehrdimensional. Die gesundheitliche Dimension des Essens ist wichtig, aber nicht die einzige. Die Dimension Umwelt beschäftigt sich etwa mit der Frage der schonenden Nutzung von Boden, Wasser und Energie. In der Dimension Gesellschaft geht es unter anderem um kulturelle Aspekte des Essens, und die Dimension Wirtschaft beleuchtet beispielsweise die Frage der Fairness im globalen Handel. Ziel sind nachhaltige, alltagstaugliche Ernährungskonzepte.
So gerne wir sie hätten, einfache Anleitungen gibt es in der nachhaltigen Ernährung kaum. „Wenn ich empfehle, Meeresfisch zu essen, weil er Vorteile für die Herzgesundheit hat, bin ich gleichzeitig um die weltweiten Fischbestände besorgt. Auch die Tatsache, dass die industrielle Fischerei vielen kleinen Fischern die Existenzgrundlage raubt, behagt mir gar nicht. Alle diese Fragen fließen in meine Entscheidung für einen nachhaltigen Essstil ein“ erklärt Dr. Theres Rathmanner und ergänzt: „Das Wichtigste ist, gut und ausgewogen informiert zu sein – und die Freude am Essen zu behalten.“ Frau Dr. Rathmanner ist Ernährungswissenschafterin und hat sich auf nachhaltige Ernährung spezialisiert.
Irrtum 1: „Nachhaltige Ernährung ist ein romantisches Konzept von realitätsfremden
Weltverbesserern.“
Der Begriff Nachhaltigkeit ist überstrapaziert und mitunter inhaltsleer geworden. Umso wichtiger ist es Theres Rathmanner, auf die Wissenschaftlichkeit hinzuweisen: „Nachhaltige Ernährung, auch Ernährungsökologie genannt, ist ein Wissenschaftsgebiet, das viele Disziplinen vernetzt. Im deutschsprachigen Raum wurde sie in den 1980er Jahren an der Justus-Liebig-Universität Gießen aus der Taufe gehoben. Seither hat sie sich laufend weiterentwickelt und an Bedeutung gewonnen.“
Irrtum 2: „Nachhaltig zu essen ist im Kampf gegen den Klimawandel nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“
Die Ernährungswirtschaft, also Produktion, Verarbeitung und Handel, ist ein umsatzstarker, längst
globalisierter Wirtschaftssektor – mit großen Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. So stammen etwa 20 Prozent aller Treibhausgase aus dem Bereich Ernährung, davon gut die Hälfte aus der Landwirtschaft und hier vor allem aus der Produktion tierischer Lebensmittel (Daten für Deutschland). Jeder Mensch isst mehrmals pro Tag, trifft also laufend Konsumentscheidungen für oder gegen Nachhaltigkeit. In Summe hat nachhaltige Ernährung also sehr wohl Auswirkungen auf das Weltklima.
Irrtum 3: „Nachhaltige Ernährung ist genussfeindlich und bedeutet, auf Vieles zu verzichten.“
Die Ernährungswissenschafterin pariert mit einer Gegenfrage: „Ist es Verzicht, anstatt täglich ein Schnitzel zu essen, am Sonntag einen Braten vom artgerecht gehaltenen Schwein zu zelebrieren? Oder ist es vielmehr ein umso größerer Genuss?“ Qualität statt Menge ist generell die wichtigste Ernährungsempfehlung.
Irrtum 4: „Nachhaltige Ernährung ist kompliziert.“
Sich mit den vielen Dimensionen zu beschäftigen, ist komplex, vor allem am Anfang. „Wenn man jedoch aus der Riesenfülle an Lebensmitteln einmal die nachhaltigen herausgefiltert hat, schrumpft das Angebot auf eine angenehme Größe und der Einkauf ist viel einfacher als jemals zuvor“, erzählt Theres Rathmanner aus ihrem Alltag.
Als erste Orientierungshilfe für KonsumentInnen dienen die sieben Grundsätze von Karl von Koerber und Claus Leitzmann, zwei der führenden Ernährungsökologen (siehe auch Anhang): überwiegend pflanzlich, gering verarbeitet, ökologisch erzeugt, regional und saisonal, umweltverträglich verpackt, fair gehandelt, genussvoll und bekömmlich.
Irrtum 5: „Nachhaltige Ernährung ist teuer.“
Erstens: In einer deutschen Untersuchung gaben Anhängerinnen der Vollwert-Ernährung pro Monat EUR 227,- für Lebensmittel aus, während Mischköstlerinnen EUR 259,- verbrauchten: Das lag vor allem an der unterschiedlichen Lebensmittelauswahl.
Zweitens: Das konventionelle Produktionssystem verursacht eine Reihe von Kosten, welche die Gemeinschaft zu tragen hat, etwa die (Wieder-)Aufbereitung von mit Düngemitteln belastetem Wasser. Würde man dies in den Preis einberechnen, wären konventionelle Lebensmittel wesentlich teurer.
Drittens: Herr und Frau Österreicher geben im Durchschnitt zwölf Prozent ihres Haushaltsbudgets für Lebensmittel und Getränke aus – das ist deutlich weniger als beispielsweise für Auto und Co. (24 Prozent). „Nachhaltige Lebensmittel zu kaufen“, meint Rathmanner, „hat also auch sehr viel mit der Frage zu tun, wie viel einem die gute Ernährung wert ist.“ „Es geht also nicht darum zu verzichten, sondern sorgsam und genussvoll mit Lebensmitteln umzugehen. So kann ein nachhaltiger Ernährungsstil durchaus einen Beitrag zum Klimaschutz leisten“, ergänzt Mag. Sonja Reiselhuber-Schmölzer, 2. Vorsitzende des Verbandes der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ).
Literaturhinweis und Quelle: Hoffman I., Schneider K., Leitzmann C.: Ernährungsökologie. Komplexen
Herausforderungen integrativ begegnen. oekom, München, 2011.
Über den Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ)
Der Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs wurde 1991 gegründet. Wichtige Ziele des Verbands bestehen unter anderem in einer fachspezifischen und berufsübergreifenden Fortbildung, einer berufspolitischen und rechtlichen Vertretung, einer Kontaktplattform auf dem Sektor Ernährung sowie der Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Essen und Trinken.
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