twen

Gehören Sie zu denjenigen, die diese deutsche Illustrierte noch selber am Zeitungskiosk oder bei uns in Österreich auch in der Trafik gekauft haben? Dann sollten Sie unbedingt weiterlesen!
Aus heutiger Sicht war diese Zeitschrift ein weit vorausschauendes, sensationelles Produkt, das sich an die jungen Menschen richtete - an jene, denen das BRAVO zu dumm und DER SPIEGEL zu seriös und zu politisch war. Auffällig vom Erscheinungsbild (schwarz) mit - erstmals in Illustrierten - einheitlicher, besonderer Schrift (Helvetica, die erst ein paar Jahre zuvor entwickelt worden war), sensationellen Fotos (mit dem damals noch nicht üblichen „Bildschnitt“, bei dem Originalfotos nur in Teilansichten dargestellt wurden, was nicht alle Fotografen akzeptieren wollten) und  - vor allem - provokanten Themen, wie etwa Homosexualität, Abtreibung, Partnersuche, amerikanische Jugendkultur, in den Anfangsjahren auch pazifistisch und antinazistisch. Modern und aufgeschlossen signalisierte die Zeitschrift den „Aufbruch“, der sich ja später als „68er-Bewegung“ etabliert hat. Sie hatte defacto eine Vorreiterrolle in der „sexuellen Revolution“ im deutschsprachigen Raum. Für die gesamte inhaltliche und grafische Ausrichtung war damals ein Deutscher, W. Fleckhausen, verantwortlich (später bekannt durch seine Arbeiten beim Suhrkamp-Verlag); er war damit (wahrscheinlich) der erste „Artdirector“ hier in Europa. Ende der 60er/Anfang der 70er habe ich mir selbst hie und da einen „twen“ geleistet, damals um 18,50 Schilling, viel Geld für einen Schüler und auch absolut viel (ein Päckchen Hobby kostete 10 Schilling) und mit großem Interesse gelesen. Meinen eher konservativen Eltern habe ich die Hefte freilich nicht gezeigt.

Also fühlte ich mich beim Pressetermin zur neuen Ausstellung „All Tomorrow’s Parties“ in der Galerie Westlicht in Wien Mariahilf in meine Oberstufenzeit zurückversetzt und als ich mir die Teilnehmer so ansah, stellte ich fest, dass kaum 10% von ihnen die Zeitschrift „live“ kennen konnten. Sie wurde nämlich 1971 eingestellt – wohl nicht nur aus Kostengründen, sondern weil sie inzwischen von Gruner+Jahr übernommen worden war, die auch den weitaus auflagestärkeren Stern verlegten, und dessen Herausgeber mutmaßlich wohl keine Konkurrenzzeitschrift im selben Verlag dulden wollte. Zwei Relaunch Versuche in den 80er blieben erfolglos.

Die Galerie Westlicht bringt in Zusammenarbeit mit dem deutschen Kurator Koetzle einen exzellenten Einblick in die Anfänge von „twen“, gut aufbereitete Hintergrundinformationen und natürlich Originalfotos und Repros von Originalartikeln. Übrigens hat „twen“ mit renommierten Partnern auch eine Schallplattenserie herausgegeben, die nahezu alle Genres von Vivaldi (Klassik) über Joan Baez (Folk) bis Iron Butterfly (Rock) berührt hat und die auch wegen der tollen grafischen Gestaltung der Cover inzwischen begehrte Sammlerobjekte geworden sind. Alles in allem sehenswert (noch bis 18.Mai)!

Essay by Walter Ritter
 

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