Kultur-Rausch im Donautal

Dass der Bereich nördlich der Donau zwischen Wachau und Wienerwald zu den wahrscheinlich besten Weißweingebieten Niederösterreichs zählt und daher vielfach für so manchen „Rausch“ verantwortlich zeichnet, ist bekannt. Dass man in diesem Bereich allerdings auch einen kleinen Kultur-Rausch bekommen kann, mag vielleicht neu sein.

Tulln kann nicht nur Garten!
Beginnen wir also in Tulln, an sich bekannt als Gartenstadt und Veranstaltungsort für Freizeitmessen. Direkt an der Donau gelegen, besteht dort seit vielen Jahren das Egon-Schiele-Museum. 2018, zum 100. Geburtstag des Künstlers, völlig neugestaltet logiert es in einer umgebauten früheren Haftanstalt unweit Schieles´ Geburtshauses am Bahnhof Tulln. Es befasst sich in durchaus professioneller Art mit dem Leben und Werk des zu seinen Lebzeiten höchst umstrittenen Expressionisten, hat jedoch das Manko, dass dort üblicherweise keine Schiele-Originale ausgestellt sind. Heuer allerdings werden unter dem Titel „Egon Schiele.Nackt!“ in der sogenannten „Schatzkammer“ elf bislang noch nie oder kaum gezeigte Originale aus einer Privatsammlung ausgestellt (noch bis Mitte Oktober). Schiele hat mit seiner Darstellung der Nacktheit zentrale Tabus gebrochen und wohl erstmals in Österreich die Verletzlichkeit und Unvollkommenheit des menschlichen Körpers, aber auch seine Triebhaftigkeit dargestellt. Neben den ausgestellten expressiven Zeichnungen und Aquarellen von „Blößen“ finden sich auch - aus heutiger Sicht sensibel anmutende -Arbeiten, wie etwa die einer stillenden Mutter mit Kind, die auf den Fokus „Mutterschaft“ in Schieles´ Schaffen hinweist. Sehenswert! Wer allerdings „mehr“ Schiele sehen möchte, sei auf die umfangreichen Sammlungen des Leopold Museums und der Albertina in Wien verwiesen.

Einmal Krems, immer Krems!
Dann rd. 40 km weiter nach Krems zur Kunstmeile. Auf einer Länge von etwa 1,6 Kilometern finden sich dort acht Institutionen, in denen (teilweise im historischen Ambiente) zeitgenössische Kunst und Veranstaltungen präsentiert werden. Offen gesagt, hatte ich die „Mächtigkeit“ dieser 2015 entstandenen „Flaniermeile“ einfach unterschätzt und musste demnach an Ort und Stelle eine erste Auswahl treffen. Dazu ein Tipp: Es gibt ein Kombiticket um wohlfeile 18 Euro, womit man innerhalb eines Jahres nach Erwerb alle Institutionen besuchen kann. Und ich denke, der regelmäßige Leser der Genusszeit.at wird daher innerhalb der nächsten zwölf Monate einen weiteren Bericht über die Kunstmeile über sich ergehen lassen müssen!
Also zuerst durch das Steiner Tor zum Minoritenkloster, das nach seiner Säkularisierung unter Josef II Ende des 18. Jhd. unterschiedlichen Zwecken diente, etwa als Tabak-Lager oder Feuerwehr-Depot, bis es 1951 als Ausstellungsstätte ausgedeutet wurde. Im nunmehr dort untergebrachten Forum Frohner beschäftigt sich die diesjährige Ausstellung „Dialoge“ anlässlich seines 90. Geburtstages mit dem Wirken des 2007 verstorbenen Künstlers als Lehrer und präsentiert unterschiedliche, tlw. beeindruckende Werke seiner Meisterklassen-Absolventen aus den 80er und frühen 90er Jahren. Im ersten Stock , im Salon Krenek, der sowohl als Ausstellungsraum, Konzertsaal, kreatives Zentrum und Begegnungsort ausgestaltet ist,  gibt die von Kreneks Witwe gegründete Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung einen detaillierten Überblick über das Leben des österreichischen Komponisten, sein umfangreiches musikalisches Werk, das in der Zeit des Nationalsozialismus als entartete Kunst abgetan wurde (Krenek emigrierte nach dem Anschluss Österreichs bei einer Konzertreise von Belgien gleich in die USA), und man erfährt, dass er sich weltweit auch als Literat und Pädagoge einen Namen gemacht hat. Man kann nicht nur in seinen Werken blättern, sondern auch in Hörbeispielen und spielerischen Selbstversuchen sich seinen Zwölf-Ton-Musik stückweise annähern. Im Langhaus der Klosterkirche, im sogenannten „Klangraum“ gibt es die Installation eines österreichischen Künstlers, Musikers und Komponisten mit dem Titel „Sägezahn 7.2“, bei der eine akustische Gitarre jeweils über ein Laufwerk mit einem Sägeblatt zusammengeführt wird – und das in 14-facher Ausfertigung. Es entsteht damit ein permanentes Klangerlebnis, das den gesamten Raum mit schwebenden Tonüberlagerungen erfüllt und einen fast mystischen Klangteppich erzeugt. Sehr beeindruckend!
An einer Ecke des Minoriten-Platzes in einem der alten Renaissance(?)-Häuser ein kleiner Altwaren-Händler „Antiktrödel“, dessen Geschäftsräume mit Krimskrams überbordend gefüllt sind. Ich musste mich kurzerhand losreißen, sonst hätte ich mich glatt verloren und wie wild eingekauft. Also auf zur Kunsthalle, entstanden aus der alten Kremser Tabakfabrik, die nach dem Umbau 1994/95 rd. 1.400 m² Ausstellungsfläche bietet. Die Kunsthalle widmet heuer dem britischen Künstler Thomas J. Price die erste Ausstellung außerhalb seines Heimatlandes. Price arbeitet in den Bereichen Skulptur, Animation, Fotografie und Malerei, wobei ich selbst seine Skulpturen am beeindruckendsten finde. Die Arbeiten entstehen aus einer Kombination von traditioneller Bildhauerei mit Digitaltechnik. Im öffentlichen Raum präsentiert Price seine überlebensgroßen Bronzeplastiken ohne Sockel, um sie von den – wie er sagt – „heroischen Denkmälern der Macht“ abzugrenzen. Sein Thema ist nicht die Abbildung realer Menschen, sondern die Darstellung fiktiver „Helden und Heldinnen des Alltags“ und der Prozess ihrer Wahrnehmung abseits von Kategorisierungen (noch bis Ende September 2024).

Die Eindrücke der letzten zwei Stunden, noch dazu bei 35,5 Grad Außentemperatur, haben mich in einen kleinen „Kultur-Rausch“ versetzt und offen gesagt auch ein bisschen geschafft, noch dazu habe ich Hunger, Durst und ein Zeitproblem, denn um 19:15 beginnt in Grafenegg mein Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Simon Rattle.
Also bleibt zunächst nur noch Zeit für einen kurzen Besuch im gegenüberliegenden Karikaturmuseum, denn da läuft derzeit die Ausstellung „Manfred Deix trifft Werner Berg“ (noch bis Februar 2025). Beide Künstler waren scharfe Beobachter ihres Umfelds, Deix karikierte das Verhalten seiner Mitmenschen in schonungsloser, ja oft sogar brutaler Art, der in Kärnten beheimatete Berg war da weit subtiler, aber nicht minder offen. Die Gegenüberstellung dieser beiden unterschiedlichen Künstler bringt erstaunliche Parallelitäten zutage und ist wirklich köstlich. Die gleichzeitig laufende „Simpsons Cartoon Art“ bzw. die Zwentendorf-Geschichte oder das Deix-Archiv war nicht mehr zu schaffen (beides läuft noch bis 2 bzw. 6/2025). Auch nicht eine der um die Kunstmeile positionierten kleinen privaten Galerien.
Noch schnell ein Abstecher zum Wellen.Spiel in unmittelbarer Gehdistanz, einem wirklich coolen Restaurant mit Vinothek, direkt an der Donau, wo es auch Kleinigkeiten zu essen gibt, dann zum Auto (Parkgebühr moderate 0,50 pro Stunde) und ab nach Grafenegg, um den Kultur-Rausch noch mit einer gehörigen Portion Monumentalsinfonik (Bruckner) zu verstärken.

Home | Egon Schiele Museum
Kunstgenuss auf der Kunstmeile Krems
Wellenspiel - Café,Restaurant, Shop und Vinothek

 

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