„Häuschen“ in Wien

Die zweite Hälfte des 19. Jhd. war geprägt durch den enormen Wirtschaftsaufschwung in Folge der Industrialisierung und dem daraus resultierenden Bedarf an Arbeitskräften, für die es natürlich auch Wohnraum zu schaffen galt. Es entstanden damit in den Wiener Vorstädten die sogenannten Gründerzeithäuser, mehrstöckige Mietskasernen mit stockwerksweisen Wasserentnahmestellen und Gangtoiletten, die Grünflächen in diesem Bereich wurden damit sukzessive zugebaut. Als Reaktion darauf kam eine Gruppe um den renommierten Architekten von Ferstel auf die Idee, dem erstarkten Bürgertum unbebaute Flächen in Währing und Döbling für Ein-und Zweifamilienhäuser (samt Garten) schmackhaft zu machen und es entstand das sogenannte „Cottage Viertel“ unmittelbar an der alten Türkenschanze (heute Türkenschanzpark). Dieses Viertel gab sich auch eigene Regeln, die neben der Wiener Bauordnung verbindlich zu beachten waren („Cottage-Servitut“) – also z.B. Beschränkung auf max. zwei Stockwerke, was zur Folge hatte, dass die Bauten bis heute dem Äußeren nach nahezu unverändert geblieben sind und das szt. Ensemble intakt ist.

Dieses Viertel beherbergte von je her die „creme de la creme“ von Wien, Schauspieler, Musiker, Künstler, Mediziner, Politiker und hat auch die NS-Zeit ziemlich unbeschadet überstanden. In der Colloredogasse 30 findet sich z.B. die szt. Villa von Karl Angerer, einem Chemigrafen, der noch vor dem 1. Weltkrieg eine besondere Methode der Zink-Ätzung (für Buchillustrationen und Autotypie) entwickelt hat. Diese Villa wurde um 1970 von Arik Brauer, dem singenden Maler (oder auch malenden Sänger) erworben und dient seither als Familiensitz. Das war nun mein Ziel eines kleinen Ausflugs.

"Wiener Schule"
Brauer, einer der Mitbegründer der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ hat bis zu seinem Tode 2021 hier gearbeitet und seiner Frau Naomi ist es zu verdanken, dass es heute ein Brauer Museum gibt. Sie hat ihren Mann dazu überredet, unter der Grundstückseinfahrt und dem Vorgarten einen großen Raum schaffen zu lassen (Baumeister übrigens der jüngst verstorbene Richard Lugner). In diesem – über Lichtkuppeln erhellten - Raum finden sich seit 2003 zahlreiche großformatige Arbeiten zu „seinen“ Themen Emanzipation, Altes Testament, Judenverfolgung und Umwelt - Themen, die sich zeit seines Lebens durch seine Werke zogen, letzteres schon in den 60er Jahren, als „Klimakrise“ noch gar kein Schlagwort war. Viel Raum wird auch seinem Alterswerk eingeräumt, der Plastik nämlich (Keramik-Skulpturen), in der Brauer u.a. zeitgenössische „Typen“ mit viel Ironie darstellte. An zwei, drei Tagen im Monat kann man eine Führung im Brauer Museum buchen; als Kunstvermittlerinnen fungieren Tochter Timna oder – wie bei mir – die älteste Enkelin Jasmin. Letztere sehr offen und es ist wirklich berührend zu hören, welch inniges Verhältnis selbst die Enkel zum Großvater hatten, der sie sogar auf seinem Schoß sitzend in seine Malerei „mitgenommen“ hat. Einem breiten Publikum bekannt geworden ist er freilich durch seine Lieder („Spiritus“, „Sie hab‘n a Haus baut“ usw.), manche sehen in Brauer sogar einen frühen Proponenten des Austro-Pop. Die musikalische Begabung hat sich jedenfalls in der Familie fortgepflanzt. Jasmin etwa gibt derzeit auch Konzerte („Baba Yaga“).

Der Garten hinter der Villa ist über und über bestückt mit weiteren Skulpturen, darunter auch die beeindruckende Arbeit „Kristallnacht“ (8. November 1938, „Novemberpogrom“), an sich ausgefertigt für den öffentlichen Raum. Brauer hat sie der Stadt Wien szt. als Geschenk angeboten, aus mir unbekannten Gründen hat die Stadt – wie ich hörte - jedoch abgelehnt. Die Villa selbst trägt (dezente) Applikationen mit keramischen Arbeiten von Brauer (Wandfliesen). Für mich ein durchaus angenehmer Nachmittag – und wohnen würde ich auch gerne hier, in so einem „Häuschen“!

KUNSTSAMMLUNG - ARIK BRAUERText by Walter Ritter

 

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